Der Jand ist von uns gegangen

Nicht so viele Worte wie zu Corrabheinns Ableben, obwohl ich doch zu Dieter so viel zu sagen hätte. Dieter traf ich zum ersten Mal 1976, ich kannte ihn persönlich genau so lange wie Manfred und Elsa und Jürgen. Jetzt hat er uns nach langer Krankheit in der Nacht zum 30. Januar 2020 verlassen und ist uns gemeinsam mit anderen nach Magira vorausgegangen.

In meinen ersten FOLLOW-Jahren sah ich Dieter fast ebenso oft wie Manfred, weil Manfred und ich nicht nur die Feste besuchten, sondern auch etliche Cons, auf denen Dieter gleichsam war. Manfred und ich spielten eine Zeit lang bei »Abenteuer in Ranabar« mit – mein Cormaic müsste da noch irgendwo in Ranabar eine gemeinsame Kneipe mit (müsste ich jetzt nachblättern, was ich später sicher machen werde) Manfreds und Peters Charakter haben, das »Grüne Nest«, so hieß es wohl -, fuhren nach Marburg und Cölbe ins Gasthaus Posingis (ich sag nur: Schweineschwänze!) Und sonstwo hin. Es war eine aufregende, es war eine spannende und es war eine anstrengende Zeit: Wir spielten bis tief in die Nacht, und einmal leitete Günter so lange, bis die Sonne aufging, und Manfred und ich fuhren von der Tischplatte mit dem Zug direkt los nach Hause. Manfred schüttelte mich unterwegs noch wach, sehr lange schüttelte er, wie er später immer gern erzählte, bis der Schaffner endlich meine Fahrkarte vor die Augen bekam …

Meine erste Zigarre verpasste mir Dieter, irgendwann nachts kramte er seine Zigarrenkiste hervor und verteilte an die letzten, nur noch schattenhaft-munteren diese dicken Dinger, zu denen niemand nein sagen konnte. In der Alemannia in Marburg war das, im Haus einer schlagenden Verbindung, einer Burschenschaft, die mir inhaltlich schon damals fernstand, in deren Haus wir als Follower aber viele Jahre wohl gern gesehen waren. Jedenfalls übernachtete und zeltete ich einige Male dort, wenn unter Dieters Obhut Cons und das Fest in Marburg stattfanden. In Marburg hielt ich auch zum ersten Mal »Dungeon&Dragons« in den Händen, das Josef Ochmann mitbrachte. Dazu passt das Foto, auf dem links Dieter zu sehen ist, in der Mitte ich meine Pizza vertilge und rechts von mir Josef Ochmann. Das Foto muss Ende der 70er-Jahre entstanden sein.

So richtig getroffen hatte ich Dieter beim Fest ’77 in Gumattenkirchen, für mich ein besonderes Fest, denn ich gewann den Titel als 1. Speer für uns Schlangen. Und wen durfte ich auch von der Wippe wuppen: Dieter! Für einen Jungspund eine besondere Ehre, und wie Jürgen damals in den Schlangenschriften schrieb: »Dabei erlegte er so wackere Recken wie Waran Jand, den Herrscher des Drachenordens (u.a. durch einen satten Treffer des Gummisaugers auf den Bauch – das Geräusch war wahrhaft hörenswert)« … Dieter stand natürlich mit blanker Brust (und blankem Bauch) auf der Wippe.

Dieter sah ich in den ersten Follow-Jahren auch auf den Silvester-Cons, die mal bei Manfred, mal bei Elsa Jürgen stattfanden. Wir spielten »Abenteuer in Erainn«, und Dieter war ein ranabarischer Priester namens … holla, jetzt muss ich überlegen, denn seine Alter Egos hießen zumindest Kor, Sor und Bor … noch mehr in der Richtung? Weiß ich nicht. Bor hieß Dieter wohl, im MIDGARD-Regelwerk ist er mit diesem Namen verewigt. Und Agadur! Mein Magier Agadur, den ich 1977 für unsere Kampagne auswürfelte, stammte natürlich aus Ranabar.

Silvester 78/79 war’s, Silvester-Con bei Manfred im tiefsten Taunus. In der Nacht auf Neujahr hatten wir fast Minus 20 Grad, es lag dickster Schnee im sogenannten Jahrhundertwinter. Dieter wollte nach Rosenheim. Doch vorher brachte er mich noch nach Limburg zum Bahnhof. Die Türen waren zugefroren, irgendwer taute sie mit einem Föhn auf. Dann band Dieter die Fahrertür fest, ich hielt die Beifahrertür bis Limburg zu. Von da bis Rosenheim zurrte Dieter dann beide Türen irgendwoundirgendwie so fest, dass er heil ankam.

Und 1980 muss es gewesen sein, Petra und ich besuchten einen Marburg-Con und übernachteten im Hotel, weil … Petra war noch nicht volljährig, und es gehörte sich ja wohl so, in getrennten Zimmern zu übernachten. Seltsamerweise blieb ein Bett unbenutzt (das ich dann am anderen Tag ordentlich durchwühlte, um den Anschein fürs Personal und so weiter …) Als Dieter uns morgens sah, bemerkte er mit sehr ernster Miene: »Der Hotelwirt hat mir gesagt, dass ihr in einem Zimmer übernachtet habt. Das ist nicht erlaubt.« Es dauerte einen sehr langen Moment, bis sich meine erschrockene Miene wieder aufhellte, denn obwohl Dieter ja wusste, dass wir im Hotel zwei Zimmer hatten: Ein solches Gespräch mit dem Hotelwirt hatte er sicher nicht gehabt. Für Menschen in meinem jungen Alter konnte sein leiser Humor offenbar doch etwas … erschreckend sein. Für den ersten Augenblick …

Wie Manfred verlor ich auch Dieter eines Tages aus den Augen. Sporadisch sah ich Dieter noch auf der Spielemesse in Essen, wo wir ein paar Worte austauschten.

Später schrieb ich für das Quellenbuch »Myrkgard«, das eine dunkle Schwesterwelt zu Midgard darstellt, eine Beschreibung zum Land Sritrara, dem finsteren Pendant zum Land Rawindra auf Midgard. Und wie unschwer zu erkennen ist, stellt Rawindra das magiranische Ranabar dar, wenn auch abgewandelt, doch den indisch angehauchten Hintergrund bringen beide schön zur Geltung. So eng jedenfalls ist alles verwoben, was mit frühen Zeiten zu tun hat …

Doch wenn ich mich an meine frühen Tage in FOLLOW erinnere, dann zählt Dieter zu den ersten fünf Menschen, die mir sofort einfallen.

Dieter abonnierte auch alle Fanzines, und seine Sammlung muss schier unendlich sein. Vermutlich hätte Dieter noch ein Abo meines eigenen Zines »New Dimension« laufen, wenn er nicht sowieoso mein ND im Austausch gegen seine Drachenbriefe erhalten hätte. Und ganz sicher ist er einer der wenigen, die alle Ausgaben von ND haben …

Wie Manfred war auch Dieter auf seine Art Chronist. Bei unseren Rollenspiel-Abenteuern schrieb er alles mit, was wichtig war. Und der Dicke seiner Kladden nach war ALLES wichtig. Ich bin mir sicher, dass ich in Dieters Drachenorden gelandet wäre, hätte ich mich nicht in Erainn wiedergefunden.

Nun ist auch er gegangen. Er ist uns genommen worden. Doch niemand kann mir die wundervollen Erinnerungen nehmen an eine aufregende, spannende und anstrengende Zeit. Und so schleicht sich ein Lächeln in mein unendlich trauriges Gesicht. Noch weine ich nicht, das dauert bei mir seine Zeit. Aber bald …