Handel mit Hindernissen

Anders als das frühe Erainn besitzt das Land in der heutigen Zeit nur noch schmale Küstenstreifen, die von großen Schiffen angefahren werden können. Einzig bei Almhuin ist ein bedeutender Seehafen nachweisbar. Die Hochlandküste um Mointálainn, das Land der Verzauberten Hügel bei Cruachan, und Maghairé Da Céo, die Ebene der Zwei Nebel nahe bei Areínnall mit der feuchten, nebligen und flachen Hochebene mit verstreuten Hochmooren, weisen hoch aufragende Felswände auf, die fast senkrecht ins Meer hinabfallen.

Und trotzdem drängen sich hoch über der Küste kleine Dörfer bis dicht an die Felsenkante. Der Zugang ist beschwerlich, bietet dafür aber eventuellen Eindringlingen sehr wenig Angriffsfläche. Auf den ersten Blick mag dies wie eine selbst gewählte Falle wirken, und ein paar Wochen des Aushungerns sollten das Dorf doch sicher zur Aufgabe zwingen. Aber die Bewohner verfügen über eine Möglichkeit, sich aus ihrer scheinbar prekären Lage zu befreien.

Nur dort an der Steilküste, wo sich das Meer in seichten Wellen gegen die Felsen der Buchten verliert, bauen sachkundige Männer ein Gebilde aus robustem Holz, das von ihnen als »Roissach« bezeichnet wird. An einem standfesten Gerüst wird ein straff gewundenes Seil aus den nicht zerreißbaren Fäden der Pflanze »Teadh« befestigt. Daran wird einer der verschieden großen Körbe festgezurrt, die von kleinen Behältnissen bis zu solchen reichen, in denen ein Pferd befördert werden kann.

Und dann gilt es, mit vielfacher Manneskraft die Kurbel zu betätigen, um die Last sicher nach oben zu hieven. Oder nach unten, auf ein wartendes Schiff, das mit frischen Waren diesen eigenartigen Handelsplatz angelaufen hat. Dort verstauen grobe Hände das in den Laderäumen, was die Erainner ihnen zu bieten haben. Auf diese Weise gelangen fangfrischer Fisch und seltene Handelsgüter aus fernen Ländern in die Körber der Dorfbewohner, die dafür gesalzenes Schaffleisch oder seltene Kräuter an die Kapitäne liefern.

Seit vielen Jahrzehnten profitieren beide Handelspartner von diesem auf den ersten Blick schwierigen Geschäft. Doch beide Seiten sind zuverlässig, und noch nie, so heißt es, wurde ein Erainner übers Ohr gehauen oder habe ein Kapitän wegen nicht gelieferter Ware geflucht. Im Gegenteil: Die Seeleute sind froh darüber, solcherart beschickt zu werden, denn wo Vertrauen sich bewährt hat, sind die Geschäfte für alle vorteilhaft.

Und noch ein Gutes hat die Beziehung der Dörfer. Sollte ein Dorf angegriffen werden, bleibt ihnen der Fluchtweg über die See. Irgendein Handelsschiff wird wohl gerade vorbeisegeln und auf die Rauchsignale der Bedrängten reagieren.


Dieser Beitrag aus meiner Feder erschien mit leicht verändertem Inhalt ursprünglich im »Quellenbuch Myrkgard« zum Rollenspiel MIDGARD im Kapitel »Regem Efêru – Erainn«, Myrkgard Press, 2003.