Das große Buch der Feen und Elfen

  • Das große Buch der Feen und Elfen
  • Andreas Gößling, mit Illustrationen von Friedrich Hechelmann
  • Gebundene Ausgabe: 384 Seiten
  • ISBN-10: 3426661241
  • ISBN-13: 978-3426661246
  • Knaur Verlag; 2004

»Das große Buch der Feen und Elfen« von Andreas Gößling ist Lesegenuss und Augenweide in gleicher Weise, ein gutes Quantum Labsal für die Seele, die für ein längeres Weilchen vom grauen Alltagsleben in eine bunte, wenn auch nicht immerzu fröhliche Anderswelt entschwinden mag.

Das Lob spende ich unverhohlen im Voraus, bevor ich auch nur eine Andeutung zum Inhalt gemacht habe. Doch bevor das verständnislose Kopfschütteln überhandnimmt, breite ich das aus, was der sehr kundige Autor Andreas Gößling auf mehr als 380 Seiten an Geschichten aufgegriffen hat.

Zwei Kapitel umrahmen die eigentliche Essenz der Arbeit: ein Vorwort des Autors, in welchem er seine Auswahl erläutert und insbesondere darauf verweit, dass die 49 ausgesuchten Erzählungen nur einen vergleichsweise kleine Ausschnitt aus dem reichen Korb an Elfen- und Feengeschichten bleiben kann. Den gelungenen Abschluss des Bandes stellt ein »Lexikon der Elfen und Feen« dar, durch das der unbeleckte Leser etwas tiefer in die märchenhafte Materie hinabsteigen kann und erste Begrifflichkeiten erläutert sieht, deren Kenntnis zwar nicht unabdingbar, aber bereichernd für den Lesespaß ist.

Darüber hinaus sieht sich das Buch in sechs gleich gewichtete Kapitel aufgeteilt, die unter den Titeln »Besucher in Elfenwelten«, »Ehen mit Feen«, »Elfen-Eros«, »Menschenkinder, Wechselbälger«, »Schatz- und Schutzfeen« und »Elfenzorn und Feenbann« Geschichten aus höchst unterschiedlichen europäischen und außereuropäischen Kulturkreisen vereinnahmen.

Der aufschlussreiche Quellennachweis im Anhang verrät, dass neben den bekannten folkloristischen Darstellungen beispielsweise um Cuchulainn (dessen Namensschreibung so vielfältig ist wie die Zahl seiner Heldentaten), den irischen Sagenheld, oder die Jungfrau auf dem Loreleyfelsen auch weniger oder gar nicht geläufige Geschichten Eingang gefunden haben. »Der Elfenkönig von Uxmal« fußt auf einer mexikanischen Erzählung und beruft sich auch auf mündliche Quellen – wie so viele der Geschichten sich nicht immer dingfest machen lassen an einem niedergeschriebenen Beleg, sondern oftmals sich durch reines Weitertragen, durch mündliche Überlieferung hinübergerettet haben in unsere Zeit (ein Beleg dafür ist unter anderem »Ein Saliges Wildfräulein«, frei nach: mündlicher Überlieferung; Herkunft: Tirol).

Die Vielfalt macht den besonderen Reiz des Buches aus. Neben den erwähnten Ländern Irland, Mexiko oder Deutschland entführt uns der Autor nach Frankreich, England, Griechenland, Albanien oder Arabien, natürlich aber auch in den Norden Europas zu den Trollen.

Intensive Anleihen wurden beim irischen Vater der Mythensammlungen Thomas Crofton Croker (1798-1854) genommen, aus dessen 1825 erschienenem »Fairy Legends and Traditions of the South of Ireland« eine Reihe der Beiträge stammen. Ich gehe davon aus, dass bei der übrigen Auswahl dieselbe Sorgfalt durch Andreas Gößling an den Tag gelegt wurde, also die profunde Kenntnis des Stoffes zum repräsentablen Querschnitt der verfügbaren Geschichten beitrug.

Davon unabhängig unterhalten alle Geschichten auf ihre jeweils ganz spezielle Weise, einmal mit Humor gespickt, der manchmal hintergründig vorgetragen wird, ein anderes Mal durchaus belehrend und mit einem nachdenklich stimmenden Unterton. Aber eben allesamt kurzweilig erzählt, knapp in der Form; kleine Lesepetitessen, bei denen es sich verbietet, sie wie einen Spannungsroman auf einen Schlag zu lesen. Sie wollen mit angemessen zurückhaltender Eile genossen werden, Häppchen für Häppchen, immer mal zwischendurch eine Erzählung, am liebsten im Lehnsessel bei einem Glas Wein und knisterndem Kaminfeuer, wie es sich für Geschichten aus der Anderswelt geziemt. Dann entfalten sie ihr märchenhaftes Flair am eindringlichsten, machen es uns leicht, für ein paar Buchseiten das Hier und Heute zu verlassen und in eine andere Welt, die gar nicht besser sein muss, zu versinken.

Aber dieses »Versinken« wäre nur halb so schön und nur halb so eindringlich, wenn der Band nicht durch eine Vielzahl ganzseitiger Illustrationen von Friedrich Hechelmann veredelt würde, die stellen den I-Tüpfel bei diesem sehr beachtlichen Werk dar, der es abrundet und zu einem Prachtexemplar werden lässt. Schemenhafte Segelschiffe im diffusen Licht einer schwindenden Sonne, verwunschene Wälder mit lugenden Feen über einem träumenden Mädchenleib, verzauberte Villen im blassen Nebel – wunderbare Bilder, die das Träumen erleichtern und das Lesen vollenden. Selten haben sich Wort und Bild gemeinsam in einem solchen Maß entfaltet.

»Das große Buch der Feen und Elfen« ist der perfekte Geschenkband. Wer jemandem eine ganz besondere Freude machen möchte und weiß, dass dieser für Feen, für Elfen, für die Anderswelt und ihre Erzählungen empfänglich ist, der möchte doch bitte diesen hervorragend gestalteten Band ins Auge fassen. Ich wiederhole mich gerne: er ist Lesegenuss und Augenweide zugleich.


[Meine Buchbesprechung erschien ursprünglich vor rund fünfzehn Jahren im Onlineportal X-Zine. Diese Ausgabe ist nur noch antiquarisch erhältlich.]