Der erste Teil und der zweite Teil zu Fergals Geschichte finden sich hier: »Die erste Wache«. und »Die zweite Wache«. Für das Verständnis ist es gut, die beiden Kurzgeschichten zuerst zu lesen.
Ein unerwartetes Wiedersehen
Fergal
Forrach Sean (49 ndF)
»Keine Nachricht von Corrabheinn, wir sind mal wieder auf uns gestellt. Sein Aufenthalt scheint unbekannt. Wie lange noch wirst Du die Cladhainn davon abhalten können, Forrach Sean selbst zu berennen? Ist es nicht besser, uns auf das Angebot des freien Abzuges einzulassen? Die Menschen würden es begrüßen, mit ihrer Habe davonziehen zu können! Wie lange wirst Du, Fergal, noch mit den Seanfhir¹ die Cladhainn und Tsalka abhalten können? Keines der umliegenden Wehrgehöfte in den Ard-Téara² hat Vorräte geschickt. Viele von ihnen sind schon gefallen! Dein Glaube an die Seanfhir ist lächerlich, töricht geradezu!«
Fergal, an den diese Worte gerichtet waren, sagte nichts. Eine Kapuze hing tief in seinem Gesicht und verdeckte die tobenden Emotionen.
Keiner dieser Barbaren aus dem Nor hatte in den letzten Dekaden seinen Fuß auf die Forrach Sean umliegenden Lande gestellt. Halt, das war nicht ganz richtig: Viele hatten es getan und mit ihrem Kopf gezahlt. Nein, das war kein »Krieg«, das waren die »üblichen Plänkeleien« gewesen … All dies war geschehen und hatte diesen »Pakt der Großen«³ nie berührt. Nun war der Vertrag erloschen. Oft hatte Fergal von den Truppenbewegungen im Nor und Est berichtet. Clanthern und Cladhainn an der Seite von dunkelhäutigem Abschaum, der sich »Tsalka« nannte. Wie oft schon hatten die Clanthern Verrat geübt? Fergal dachte kurz zurück an jenen Moment, als diesen Menschen Peutin für ihren Verrat zukam. Was sagte Corrabheinn damals?
»Ein jeder liebt den Verrat, doch niemand liebt den Verräter! So etwas nennt man auch – Politik. Du, Fergal, warst anwesend, als sie vor mir knieten und ihren Lohn mit gierigen Händen nahmen. Menschen eben …«
Wie wahr! Doch machte man sich nicht gemein mit solchem Geschmeiß, wenn man ihnen dann auch noch Städte zuerkannte? Fergal hatte dies nie verstanden. Und jetzt das Auftauchen der Tsalka aus den Tiefen des Ozeans. »Heimkehrer« nennen sie sich. Clanthon nahm seine »Brüder« auf, und es kam so, wie es kommen musste: Der Ageniron-Pakt wurde aufgekündigt, auf dass diese »Heimkehrer« sich neues Land erstreiten konnten …
Fergal ging davon aus, dass es nicht diese Seevölker waren, welche letztlich in den Städten Erainns herrschen sollten. Dafür würde sich sicherlich so manch clanthonischer Edelmann finden.
Er blickte nach unten auf den Boden und entdeckte, dass noch etwas Hirnmasse an seinem Stiefel klebte. Vermutlich war dies der Grund dafür, dass die Katze im Raum so aufdringlich um seine Beine strich.
»Und was wird nun von uns erwartet?« Fergal hatte Mühe, sich zu beherrschen, seine Wut ließ seine Stimme zittern.
»Das Angebot der Cladhainn ist eindeutig: Übernahme der Stadt, keine Plünderung von Forrach Sean und Beendigung der Kriegszüge hier im Umland. Dafür wird der Abzug deiner Haustruppen gefordert. Es wird uns zugesichert, dass hier thuathisches Recht herrschen wird und dass diese ›Fremden von den Meeren‹ sich fernhalten werden …«
»Dann waren unsere Opfer umsonst, Aodhan! Das kann nicht der Wille des Toissech sein!«
»Das war noch nicht alles! Es wird die Übergabe der Streitwagen gefordert. Die Wache soll zu Fuß abziehen!«
»Unmöglich, das ist …!«
»Schweige still. Die Entscheidung ist schon gefallen. Du spürst diesen Stich in Dir, es ist die Ehre, die Euch Coraniaid so wichtig scheint! Doch es gibt bedeutendere Dinge: Das Leben und das Wohl der Bevölkerung dieses Landes! Forrach Sean ist auf sich gestellt, und es ist nicht an Dir, diese Entscheidung zu hinterfragen! Du kannst gehen!«
Fergal wandte sich um und ging aus dem Raum. Kurz vor dem Verlassen der Tür drehte er sich um.
»Wir werden uns sehen, Aodhan! Und es ist das Wohl dieses Landes, welches dann über dein Leben entscheidet!«
Aodhan blickte nicht auf. Fergal wusste aber, dass er gut verstanden worden war.
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Ard-Téara – ein Hof im Gebiet der Hohen Lande im Süd von Forrach Sean (57 ndF)
Der hölzerne Wall war eingenommen, das Tor geöffnet. Mehrere Tote lagen dahinter auf dem Boden, einfache Arbeiter und auch Frauen. Keiner von ihnen trug Rüstung am Leib, nur vereinzelt waren Dolche, Bögen oder Schleudern zu erkennen. Der verzweifelte Widerstand war von den Angreifern schnell gebrochen worden.
Einige wenige Pfeile zischten noch aus den Schießscharten des Haupthauses, doch wirkten diese – so wie der bisherige Widerstand der Bewohner – geradezu erbärmlich in ihrer Hilflosigkeit.
Aodhan nickte seinen Männern zu; ein halbes Dutzend von ihnen rannte zu den Ecken des Gebäudes und legte Brände an den großen Stützbalken. Schnell leckten die Flammen empor. Das Feuer erreichte im Nu den Dachüberstand und fraß sich zum First.
Bogenschützen nahmen Aufstellung vor den Türen des Hauses, aus dem nun entsetzte Schreie von Frauen und Männern und das Weinen von kleinen Kindern drangen. Innen war Rumpeln zu hören, Aodhan hob seine Hand.
»Jetzt kommen sie heraus!«
Die doppelflügelige Tür wurde aufgerissen. Ein Greis rannte mit erhobenem Stoßspeer auf die Bogenschützen zu. Aodhan bemerkte interessiert, dass er tatsächlich ein Kettenhemd aus silbrigem Metall trug. Es stimmte also tatsächlich! Der Alte hätte es herausrücken sollen, so wie ihm geheißen worden war. Die Pfeile prallten an den Kettengliedern ab; doch dann zielten die Bogenschützen endlich auf die mageren Beine des Alten. Und sie trafen nur zu gut! Ein Pfeil durchschlug einen Oberschenkel, zwei Weitere nagelten den Alten an den Boden. Er brach zusammen und schrie vor Wut und Verzweiflung.
Aodhan trat hinzu, der Alte blickte ihn hasserfüllt an. Er versuchte aufzukommen, doch traf ihn der schwere Stiefel Aodhans wuchtig gegen die Brust. Der Kopf prallte hart auf den Boden, der Greis verlor die Besinnung.
Aodhan blickte nieder auf den Alten und wartete auf ein Lebenszeichen. Dann hob er den Stiefel an und begann den Schädel des Greises mit sichtbarem Genuss zu zertreten.
Entsetzte Schreie drangen aus dem Haupthaus. Aodhan ließ sich von seinem Werk nicht abhalten. Er winkte gedankenverloren den Bogenschützen zu, die auf die sich zeigenden Überlebenden zielten.
»Verriegelt die Tür, wir haben alles, was wir brauchen!«
Vier Krieger sprangen vor und schlossen die doppelflügelige Tür. Schnell wurde ein Balken herangebracht und quer verkeilt. Verzweifelte Schreie drangen aus dem Haus, und es dauerte überraschend lange, bis auch das letzte Wimmern erstarb.
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Seit Tagen waren Fergal und seine zwölf Männer durch die Ard-Téara gezogen. Einen guten Tagesmarsch norlich befand sich Forrach Sean, das nun »Forcy« genannt wurde. Die alten Lande wirkten wie ausgestorben. Mehrere der alten Wehrgehöfte waren geplündert und niedergebrannt worden.
Als sie gestern zur »Foinse an Rachmais«⁴ gelangten, war der heilige Ort verwaist. Mehrere der uralten Steine an der Quelle waren entfernt, das Quellbecken war zerschlagen worden. Nur noch ein kleines Rinnsal quälte sich aus dem Boden und schien wieder versickern zu wollen. Sie verließen den Ort schnell und zogen weiter.
Jetzt sahen sie diese aufsteigende Rauchfahne im Ydd. Ihre Schritte wurden schneller, bald schon würden sie sehen, wer für diese Geschehnisse verantwortlich war.
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»Clanther! Sie haben das Wehrgehöft angegriffen und geplündert. Es sind etwa dreißig, die meisten von ihnen sind Tsalka. Der Kampf ist schon vorbei, keine Wachen.«
Fergal nickte seinem Späher zu.
»Hier sind wir auf ihrem Gebiet. Es heißt, dass sie hier herrschen … Hmm … Frieden herrscht also auf Ageniron … «
Rhudri grinste Fergal an.
»Also wird keiner überleben!«
Die Krieger nickten, es war beschlossen.
Sie näherten sich im Halbkreis dem Tor. Fergal nickte den Bogenschützen zu, die schnell den Wall erklommen und auf dem Wehrgang Stellung bezogen. Grölen und Gelächter waren von drinnen zu hören.
Schnell drangen sie nun in den Hof vor und fielen über die unorganisierten Clanther her. Nur wenige Schreie waren zu hören. Es gab vereinzelt schmatzende Geräusche, wenn die Stoßlanzen aus den Leibern der Tsalka gezogen wurden. Gelegentlich war das Surren von Pfeilen zu hören, und wie geplant forderten die Boghai⁵ einen hohen Tribut vom Gegner.
Alles war wie erwartet. Alles – bis ein ungewöhnliches Geräusch auf Fergals Ohren traf. Mehrere Pfeile der Boghai waren von der Kettenrüstung eines Clanther abgeprallt, statt die Glieder zu sprengen und den Träger zu durchbohren! Und dieses Geräusch war wirklich – bemerkenswert! Fergal hatte es schon viele Jahre nicht mehr gehört.
Er rannte um das noch brennende Hauptgebäude herum und erblickte dort Aodhan, den Letzten der Clanther, umstellt von Fergals Männern. Er trug ein blutiges Kettenhemd aus Aithinn, das ihm fast bis zu den Knien reichte. Mit seinem Langschwert hielt er die Erainner auf Abstand, welche seinen unbeholfenen Schlägen lachend auswichen.
»Ihr müsst mich ziehen lassen! Ich bin hier im Auftrag von Amalie von Schattenfels, der Gräfin von … Forrach Sean!«
Fergal trat mit schnellen Schritten hinzu.
Aodhan erblickte ihn, seine Augen waren vor Entsetzen starr. Unbeholfen schlug er nach dem sich nähernden Coraniaid. Dieser wich aus und hieb ihm mit einem Schlag den Kopf ab. Angeekelt blickte er dem davonrollenden Schädel nach.
»Nehmt das Kettenhemd und schmeißt die Leichen ins Feuer! Wir müssen weiter!«
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Als die großen Stützbalken endlich krachend zusammenbrachen, war die Schar der Krieger nicht mehr zu sehen.
¹: Seanfhir: »Die Alten« – Ehrentitel der Wache von Forrach Sean.
²: Die »Hohen Lande« im Umland von Forrach Sean. Es gibt keine Berge hier, die Hügel scheinen grenzenlos.
³: Gemeint ist offensichtlich der »Ageniron-Pakt«.
⁴: »Quell des Reichtums« (übersetzt): Name einer vormals sehr bekannten Quelle in den Hohen Landen. Mit ihrem Wasser wurden im Frühjahr die Felder besprengt und so Nathir – dem Leben also – geweiht.
⁵: Boghai: erainnische Bogenschützen.